Der EU Green City Accord
Autor: Marten Beckmann
Die Europäische Union zählt mit ihren knapp 450 Millionen Einwohnern zu den einflussreichsten Regionen der Welt. Die EU ist Wirtschaftsmacht, politisches Schwergewicht und ihre Mitgliedstaaten liegen alle im oberen Drittel des Index für menschliche Entwicklung. Mit dieser Macht kommt viel Verantwortung. Denn einen ebenfalls sehr großen Einfluss hat die EU auf die globale Klimakrise. Hinter den USA und China ist der europäische Staatenbund der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen; rechnet man pro Kopf, liegt er sogar auf Platz zwei. Positiv zu erwähnen ist hier, dass sich die EU dieser Verantwortung bewusst zu sein scheint und sich im Gegensatz zu China, USA und Russland glaubwürdig mit dem Thema auseinandersetzt. So lag sie im Klimaschutzindex 2022 im oberen Mittelfeld, weit vor den ebenfalls genannten Staaten.
Aber ja, es gibt zweifelsohne große Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, wenn es um praktizierten Umweltschutz und dessen empfundene Relevanz geht: Während die skandinavischen Länder, wie so oft, die Spitzenplätze untereinander aufteilten, wurden Ungarn, Polen und Rumänien mit schlechten Bewertungen gerügt. Trotzdem mangelt es der EU nicht an Einsicht und Ambitionen; Klimaschutz wurde unlängst zum politischen Schwerpunkt erhoben und mit großen Zielen konkretisiert. So will die Europäische Union bis 2030 55% ihrer Emissionen eingespart haben und bis 2050 tatsächlich klimaneutral sein. Für diese ehrgeizigen Ziele hat sich viel bewegt: Neben neuen Auflagen und hohe Summen an Fördermitteln für den Ausbau nachhaltiger Projekte sind auch viele europäische Initiativen ins Leben gerufen worden. Eine davon, The European Green City Accord möchten wir hier etwas näher beleuchten.
The Green City Accord
Der Green City Accord wurde im Oktober 2020 von der Europäischen Kommission eingeführt und ist eine Initiative für die Verbesserung der urbanen Lebensqualität und des Klimaschutzes. Bereits heute leben über 70% der Europäer und Europäerinnen in Städten, was diese zu absoluten Kernelementen für die Erreichung der EU-Klimazielen macht.
Der Green City Accord wurde im Oktober 2020 von der Europäischen Kommission eingeführt und ist eine Initiative für die Verbesserung der urbanen Lebensqualität und des Klimaschutzes. Bereits heute leben über 70% der Europäer und Europäerinnen in Städten, was diese zu absoluten Kernelementen für die Erreichung der EU-Klimazielen macht.
Städte mit mehr als 20.000 Einwohner können sich in den Green City Accord einschreiben – vorausgesetzt, sie liegen innerhalb der EU – und verpflichten sich dann zu einer signifikanten Verbesserung in fünf Bereichen, welche als besonders wichtig für die urbane Lebensqualität ausgemacht wurden. So misst die Initiative den Fortschritt der teilnehmenden Städte in den folgenden Aspekten:
#1 Luftqualität. Heutige Städte sind vom Individualverkehr geprägt und leiden unter einer starken Feinstaub- und Schadstoffbelastung, welche die Gesundheit ihrer Bevölkerung gefährdet. Darüber hinaus sind das Auto und der damit zusammenhängende Individualverkehr eine große Belastung für Umwelt und Klima. Aus diesem Grund verpflichtet der Green City Accord seine Teilnehmerstädte zur Verbesserung der Luftqualität. Als Indikatoren hierfür werden die jährlichen Mittelwerte der Feinstaub- (PM2.5) und der Stickstoffdioxidkonzentration herangezogen. Die Erfassung dieser beiden Werte ist verpflichtende Voraussetzung für eine Teilnahme.
#2 Wasser. Trinkbares und sauberes Wasser ist ein hohes Gut und glücklicherweise in den allermeisten europäischen Städten verfügbar. Als knappe Ressource misst der Green City Accord die Städte anhand ihres Umgangs mit Wasser. So werden als Pflichtindikatoren der durchschnittliche Haushaltsverbrauch, die Qualität des städtischen Abwassers sowie der Infrastructure Leakage Index (welcher den Wasserverlust in Rohrnetzen misst) herangezogen.
#3 Natur und Biodiversität. Das Artensterben ist neben der globalen Erwärmung das wohl größte Problem der kommenden Jahrzehnte. Doch gerade Städte könnten eine große Rolle in der Erhaltung der Biodiversität spielen. Somit nimmt die europäische Initiative diesen Punkt mit auf und verpflichtet Städte zu verstärktem Artenschutz und Ausbau von natürlichen Flächen innerhalb des Stadtgebietes. Erfasst und bewertet wird hier der prozentuale Anteil von restaurierten, geschützten oder naturalisierten Flächen sowie von baumüberdeckten Bereichen. Urbane Begrünung wird genauso erfasst wie die Artenvielfalt selbst, die anhand der vorkommenden Vogelarten beziffert wird.
#4 Müll und Kreislaufwirtschaft. Wer sich noch an die Müllkrisen italienischer Großstädte aus den späten 2000ern erinnert, weiß, wie viel Müll eine Stadt täglich ausspuckt. Dass Müll ein wortwörtlich riesiges Problem urbaner Räume ist, lässt sich kaum bestreiten. Der Green City Accord möchte daher auch diesen Umstand angehen und verlangt von seinen Teilnehmern eine Verbesserung der Recyclingrate sowie eine Reduzierung des Anteils des deponierten Mülls sowie des Haushaltsmülls insgesamt.
#5 Geräuschbelastung. Wenn wir an heutige Städte denken, kommen vielen Menschen wohl die große Hektik sowie der nicht enden wollende Lärm in den Kopf. Und das nicht ohne Grund: Die Geräuschbelastung in Innenstädten ist durch Verkehr und Baulärm oft weit über dem erträglichen Level. Die EU-Initiative erfordert daher eine Verbesserung der urbanen Geräuschkulisse und verlangt von den Städten Auskunft über Schlafstörungs- und "Genervtheitsraten" sowie den prozentualen Anteil der Bevölkerung, die Lautstärken über 55 dB bei Tag und 50 dB bei Nacht ertragen muss.
Jeder wie er will
Wer dem Green City Accord beitritt, muss also viel Mühe und Energie aufwenden – die Anforderungen sind hoch. Einmal beigetreten sind Städte im Blickpunkt und haben zwei Jahre Zeit für einen ersten Report. Doch davon abgesehen gibt die EU den Stadtverwaltungen große Entscheidungsfreiheit und setzt Ziele, jedoch keine Vorgaben zu deren Umsetzung. Jede Stadt kann so ihre Schwachstellen auf ihre Art und Weise ausbessern und einen individuellen Weg zu mehr Lebensqualität einschlagen. So haben die beiden letztjährigen Gewinner der Initiative, die finnische Stadt Tampere und Valongo aus Portugal, ganz unterschiedliche Schwerpunkte verfolgt und doch gleich viel erreicht. Diese Politik ermöglicht nicht nur das Ausprobieren und die Entdeckung neuer Methoden und Modelle, von welchen andere Partnerstädte profitieren können, sondern ist auch schlicht und ergreifend notwendig: Klimaschutz bedeutet etwas anderes im tiefen Finnland als an der portugiesischen Atlantikküste.
Die Städte haben natürlich auch etwas von der Teilnahme am Green City Accord. Neben technischer und organisatorischer Unterstützung erhalten teilnehmende Städte europaweite Aufmerksamkeit und die Gelegenheit, sich als Musterbeispiel zu positionieren. Die Städte des Green City Accords werden oft mit den Preisen European Green Capital und European Green Leaf ausgezeichnet und werden bei der Umsetzung neuer relevanter Regularien und Standards miteinbezogen. Und natürlich hat eine Teilnahme die Verbesserung der urbanen Lebensqualität zur Folge, wie sie ohne vielleicht nicht möglich wäre.
Der Green City Accord heute
Seit ihrer Gründung vor bald drei Jahren ist die Initiative stetig gewachsen und zählt heute (Mai 2023) 100 Mitgliedsstädte. Deren Zusammensetzung ist teilweise erstaunlich: Während neben Madrid, Porto und Helsinki nur wenige europäische Metropolen unter den Teilnehmenden zu finden sind, machen kleinere Städte die Mehrzahl aus. Gerade in Portugal und Spanien zählt der Green City Accord die meisten Mitglieder. Aus Deutschland sind lediglich die bayerische Landeshauptstadt München und das Fahrradparadies Münster vertreten – wir hoffen auf Zuwachs!
Vielen Dank fürs lesen! Mehr spannende Themen findest Du in unserem Urban Greenery Blog.